Montag, 20. März 2006

Wo Gäste zu Chefköchen werden

Wo Gäste zu Chefköchen werden
19. Mär 11:27

Die Liste für Gastkocher ist lange ausgebucht



Für manche ist es ein Glücksgefühl wie bei einem Marathon: In einem Restaurant in Berlin-Mitte stehen die Gäste selbst am Kochtopf. Dabei den Überblick zu behalten, ist nicht immer einfach.




Von Arevd Gintenreiter

In einem eher unscheinbaren Lokal im Szeneviertel von Berlin-Mitte können auch die Gäste Karriere machen: Jeden Montag steigen nach Absprache ein oder zwei von ihnen zum Chefkoch auf und übernehmen für einige Stunden die Küche. Afrikanische Platte, gelber Labskaus, Paella, Schweinshaxe, Nudeln, Erbsen- oder Vanilleeis.

Nichts ist den Amateurköchen zu ausgefallen, nichts zu gewöhnlich. Für den 35 Jahre alten Oliver Sartorius, Chefkoch und Besitzer der weiß und orange gekachelten Gaststätte «Urban Comfort Food» (UCF) mit 60 Plätzen, liegt genau in dieser Vielfalt der Reiz. Und das Angebot kommt an: Die Warteliste für Gastköche ist über Monate ausgebucht.

Gegen 19:00 Uhr erscheinen die ersten Gäste. Die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Nichts ist fertig. «Langsam steigt der Adrenalinspiegel», sagt der 33-jährige Holm Münstermann, der vier Stunden zuvor Anzug, Hemd und Krawatte gegen die weiße Kochmütze und eine mittlerweile verkleckerte Schürze getauscht hat.

Herausforderung für Logistiker

Im Alltag ist er Logistiker beim Axel-Springer-Verlag. Den Überblick über zehn große Töpfe zu behalten, fällt dennoch schwer. Schweißperlen bahnen sich ihren Weg über die Stirn. «Wann kocht man schon für 60 Leute?», sagt sein Arbeitskollege und Küchenkompagnon Christian Kiefer (33). Beidhändig rührt der mit einem übergroßen Löffel die 25 Liter Suppe um.

Beim Abschätzen der Menge hilft der Chefkoch des Hauses. «Das ist wie ein großes Abenteuer», sagt Münstermann. Die «Gastkocher» kommen aus allen Gesellschaftsschichten, berichtet der Lokalbesitzer. Studenten, Manager und gelegentlich auch ausgebildete Köche.

Mit etwas Glück bekommt ein Gast dann für den Festpreis von 8,50 Euro ein gutes Drei-Gänge-Menu serviert. Ohne «Risikoabschlag» koste solch ein Essen im UCF mindestens zwölf bis 14 Euro, sagt Sartorius.

«Interpretation der Schwarzwälderkirschtorte»

Um die Zufriedenheit der Gäste mache er sich keine Sorgen. «Die meisten kennen das Konzept und sind an Montagen nicht so kritisch.» Den Einkauf der Zutaten - in der Regel für rund 100 Euro - übernimmt das Lokal. Dann lehnt sich der ehemalige Kurzfilm-Produzent Sartorius zurück und genießt sichtlich das wachsende Chaos.

Einer der «Gastkocher» ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und überzeugte den Lokalchef derart, dass er umgehend ein Angebot erhielt. Seither beglückt er die Gäste des UCF jeden Sonntag mit Pasta-Kreationen.

Der aus Baden stammende Kiefer setzte eine Flädlesuppe und eine «Interpretation der Schwarzwälderkirschtorte» auf die Karte. Die Bestandteile liegen einzeln auf dem Teller, das Kirschwasser wird im Glas dazu serviert.

Ausgefallenes hat im UCF Tradition. Währenddessen kämpft der gebürtige Wiesbadener Münstermann mit 11 Kilogramm Tafelspitz, 10 Kilogramm Kartoffeln und 60 Eiern für schon Goethes Leibgericht Grüne Soße.

Gäste brauchen etwas Geduld

«Am wichtigsten ist dabei der Spaß für Köche, Gäste und Personal», sagt Sartorius. Der Funke springt schnell über, das Konzept geht auf: Unter dem Strich bleibe immer ein kleines Plus, sagt der Gastronom. Münstermann und Kiefer übernahmen die Küchen-Regie aus moralischer Verpflichtung, sagen sie. «Wir haben uns oft über andere amüsiert, die das gemacht haben. Da war es nur eine Frage der Zeit.»

Mit knapp zwei Stunden Verspätung ist das Essen zubereitet. Nach einer weiteren haben die Manager die ungewohnte Aufgabe endlich überstanden. Allzu bald will Münstermann das Abenteuer nicht wiederholen: «Aber wenn es geklappt hat, ist das hier ein Glücksgefühl wie nach einem Marathon.» (dpa)

Netzeitung

3 Kommentare:

  1. Das könntest du doch auch einmal anbieten !!!

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  2. Stimmt eine gute Idee, das könnte ich mir gut vorstellen.

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  3. OK..Ich denke mal darüber nach !!

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!!!
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